Hier finden Sie Nachschriften zu bisherigen Vorträgen des Katholischen Bildungswerks Minden für das laufende und das vergangene Jahr.
„Ein christliches Ja zum jüdischen Nein – Fruchtbarer Dissens über Jesus Christus“
16.03.2016, Haus am Dom, Minden
Referent: Prof. Dr. Hanspeter Heinz
Ich bin ein evangelischer Katholik mit jüdischen Freunden“ – so stellte sich Prof. Dr. Hanspeter Heinz seinem Publikum vor, das am vergangenen Mittwoch im Haus am Dom den Vortragssaal gut gefüllt hatte. Der emeritierte Professor für Pastoraltheologie der Katholischen Fakultät der Universität Augsburg war auf Einladung des Katholischen Erwachsenenbildungswerks, der Evangelischen Erwachsenenbildung und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit nach Minden gekommen. Sein Thema lautete: „Ein christliches Ja zum jüdischen Nein – Fruchtbarer Dissens über Jesus Christus“. Selber seit 1974 Leiter des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken und Preisträger der für besondere Verdienste für die Verständigung zwischen Juden und Christen verliehenen Buber-Rosenzweig-Medaille im Jahr 2015, schilderte Prof. Heinz den bedeutsamen Neuaufbruch der katholischen Theologie gegenüber dem Judentum nach Holokaust und 2. Weltkrieg:
Das 2. Vatikanische Konzil betrieb mit seiner „Erklärung über die Juden“ – nach fast zweitausend Jahren christlicher Verunglimpfung des Judentums – eine fulminante Kehrtwendung hin zu einem respektvollen Verhältnis gegenüber dem jüdischen Glauben, vorangetrieben vom Reformpapst Johannes XXIII: Auf das unfassbare historische Faktum, dass die meisten Täter der nationalsozialistischen Judenvernichtung getaufte Christen waren, münzte Johannes XXIII die theologische These: „Die Tatsache, dass Jesus als Jude geboren wurde, ist die Spitze der Menschwerdung Gottes“.
In drei theologischen Thesen fasste Prof. Heinz den Erkenntnisfortschritt des 2. Vatikanischen Konzils und seine eigenen Erfahrungen und Schlussfolgerungen, gewonnen aus jahrzehntelanger Begegnung mit jüdischen Gesprächspartnerinnen und -partnern in aller Welt, zusammen: Erstens haben Christen zu akzeptieren, dass Juden das christliche Bekenntnis zu Jesus Christus aus Treue zu ihrem eigenen Glauben nicht anerkennen: „Gott gibt Juden offensichtlich etwas anderes zu hören als uns“, spitzte der Gast aus Augsburg seine Thesen zu, und leitete damit über zu seiner zweiten These: Christen haben zu akzeptieren, dass Gottes („alter“) Bund mit seinem jüdischen Volk bestehen bleibt, ungeachtet der Tatsache, dass sich die Kirche ihrerseits auf den („neuen“) Bund Gottes in Jesus Christus gegründet sieht. Und drittens geht es darum, das „Geheimnis Gottes“ nicht durch theologische Geschichtsspekulationen über die Frage, warum Gott offensichtlich verschiedene Wege der Menschen zu ihm hin eröffnet hat (geschweige denn, welcher Glaube „der richtige“ sei), zu verwässern: „Wir kennen die himmlische Buchführung nicht“, brachte es der Referent humorvoll auf den Punkt.
Die praktische Folgerung aus diesen theologischen Erkenntnissen lautet: Wenn Juden und Christen untereinander und vor Gott auf gleicher Höhe stehen, wird auch die jahrhundertelang von christlichen Kirchen betriebene „Judenmission“ obsolet. Auch die bis zum 2. Vatikanischen Konzil praktizierte „Fürbitte für die Bekehrung der Juden“ als Bestandteil der Karfreitagsliturgie in der katholischen Kirche ist damit hinfällig geworden: „Wir Christen sollten lieber für unsere eigene Bekehrung beten“, fasste es der Referent wieder erfrischend provokativ zusammen – und traf damit offensichtlich auf Zustimmung der meisten Zuhörenden. Anstatt die eigene Identität über die Verachtung anderer zu definieren, sollten Christen lieber mit Respekt und Neugierde auf Menschen anderen Glaubens zugehen – und darin als Vorbild wirken in unserer Zeit, in der weltweit ideologische und religiöse Ressentiments und Konflikte das Zusammenleben der Menschen zunehmend beeinträchtigen.
Pfarrer Andreas Brügmann
Geschäftsführender Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden (Westfalen) e.V.