Herr, unser Gott, Du baust Deine Kirche aus lebendigen Steinen.
Sie gibt Heimat, ist Weg und Ziel zugleich: Erfüllung, Freude, Friede, aber auch Kampf. Ich möchte hinzutreten, zu dem lebendigsten aller Steine, Jesus Christus. Er ist die Mitte. Lass mich in der Gemeinde der Glaubenden so werden, wie er in der Welt war, einfach und klar, bergend und befreiend, Unruhe und Friede zugleich. Lass mich so zum himmlischen Jerusalem gelangen. Amen.
Eine Führung durch St. Walburga
Ganz nahe der Porta Westfalica, am Fuße des Wesergebirges, steht, in landschaftlich herausragender Lage, die Kirche St. Walburga, kirchliches Zentrum für die katholischen Bewohner der politischen Gemeinde Porta Westfalica mit ihren 15 Ortsteilen.
Sie wurde von Emil Steffann entworfen und in den Jahren 1966 – 1970 erbaut. Der Architekt verunglückte tödlich am 23. Juli 1968. Sein Mitarbeiter Gisberth Hülsmann, der schon Steffanns Skizze zum Entwurf ausgearbeitet hatte, führte den Bau zu Ende.
Nicht wenige Vorübergehende betrachten erstaunt das von der Straße her aufsteigende Gebäude, lassen fragende Blicke hinaufgleiten über Treppen und Vorsprünge. Der Baumeister hat es verschmäht, es durch äußerliche Attribute als Kirche zu kennzeichnen: „Das Gebäude hat einen Turm mit Hahn – es muss eine Kirche sein.“ Manche schlagen wohlmeinend vor, zur Kennzeichnung ein großes Kreuz anzubringen. Aber dieses Zeichen unseres Glaubens sollte uns zu schade sein, es als bloßes Signal zu verwenden.
Das bescheidene Schild ganz unten mit der Aufschrift „Katholische Kirchengemeinde St. Walburga“ wird von vielen übersehen. Nur wenige folgen dem Impuls der Neugier und steigen die Treppenstufen hinauf, zu erkunden und zu entdecken. Sie gehen vorbei an einem kleinen Platz, gelangen, oben angekommen, ins „Paradies“, einen überdachten Vorplatz zwischen den Gemeinderäumen und der eigentlichen Kirche, treffen auf das Taufbecken aus der alten Kirche und gewahren ein brunnenähnliches mit Kieseln gefülltes Bassin, welches das Regenwasser des Daches aufnimmt, das – je nach Stärke des Regens – tropft, rieselt, fließt, strömt, rauscht. Durch eine Glaswand blickt man in den Hauptraum der Kirche. Manche begnügen sich mit diesem Blick, übersehen die seitliche Eingangstür, die meist geöffnet ist.
Die Werktagskapelle
Wer eintritt, gelangt zuerst in die Werktagskapelle, einen niedrigen kryptenähnlichen Raum. Obwohl zum Hauptraum geöffnet, erhält er durch den mit hochkant gesetzten Kieselsteinen gestalteten Boden optisch Eigenständigkeit und Geschlossenheit. Ein Betonpfeiler trägt die Kirchenwand über der Öffnung.
Der Blick fällt von selbst auf den schlichten Altartisch aus Beton, dessen Bereich am Boden ebenfalls mit Kieselsteinen markiert ist, auf den daneben aus einem Mauerdurchbruch herausragenden Tabernakel und die an der anderen Seite auf einer Betonpyramide stehende Marienfigur. Dieser Raum vermittelt den Besuchern der Werktagsgottesdienste und stillen Betern ein Gefühl der Geborgenheit.
Der Hauptraum
Ein paar Schritte weiter, und dem Blick öffnet sich der große, hohe Kirchenraum für die Sonntagsgottesdienste. Wer aus der dunkleren, niedrigen Werktagskapelle kommt, wird durch die Weite des Raumes etwas wie ein Freiheitsgefühl, eine seelische Erhebung erfahren. Nichts verstellt den Blick.
Der Altar, die geistige, nicht geometrische, Mitte des Raumes, zieht den Blick an. Um ihn gruppieren sich im Dreiviertelkreis die Sitze für die Gläubigen. Eine einzige Stufe genügt, den Altar herauszuheben. Durch die Kehlung an seinem Fuß scheint er aus der Stufe herauszuwachsen. Er wird zusätzlich betont, und der Raum wird zentriert, durch eine Lichtkrone. Man stelle sich vor, die Lichtquellen befänden sich alle in einer Ebene auf einem Radleuchter – es würde den Raum optisch zerschneiden. So aber schweben die Lichter im Raum. Der Fußboden senkt sich von allen Seiten unmerklich auf den Altar hin, der dadurch auch für die hinteren Sitzreihen gut sichtbar ist.
Vor der Rückwand hinter dem Altar führen Stufen zu einer Betonbank hinauf. Hier kann sich der Chor aufstellen und können, etwa in Familiengottesdiensten, Spielszenen stattfinden. Diese Anlage ist sehr ausgewogen auf den Altar bezogen, unterstreicht seine zentrale Stellung. Ein flächiges Band aus Kieselsteinen, wie wir sie schon in der Werktagskapelle sahen, umzieht den ganzen Raum am Fuß der Wände.
Mauerwerk und Baumaterialien
Die Wände des quadratischen, an den Ecken abgerundeten Kirchenraumes sind, wie die Außenwände, steinsichtig. Das Baumaterial ist Hollager Kalkstein in warmen Ocker– und Brauntönen. Nur an wenigen Stellen wurde der Stein bearbeitet, sonst ist er vermauert, wie er aus dem Steinbruch kam. Die unregelmäßigen Fugen sind mit Traßmörtel verstrichen, der auch den Stein teilweise übergreift. Die Vielfalt der Steine, deren keiner dem anderen gleicht – ein Bild für die Kirche, den geistigen Bau aus lebendigen Steinen (1Petr 2,5). An einigen Stellen, so im oberen Teil der Wand, wurde sparsam auch Beton verwendet. Diese Mauern umfassen eher und bergen, als daß sie begrenzen. Ringsum sind die Leuchter angebracht, die auf die 12 Apostel verweisen, welche im Neuen Testament als „Fundament“ und „Säulen“ der Kirche bezeichnet werden (Eph 2,20; Gal 2,9).
In der Höhe verläuft ein Fensterband. Es wurde nachträglich durch vorgesetzte schwarzlotgefärbte Scheiben abgedunkelt, weil es, entgegen dem Plan des Architekten, zu breit angelegt war. Eine Holzdecke schließt den Raum nach oben ab. Sie wird von Leimbindern getragen, die zwischen Dach und Decke unsichtbar bleiben.
Neben dem Hauptausgang befindet sich im Mauerwerk der Grundstein der Vorgängerkirche; auf der einen Seite ist deren Gründungsdatum zu lesen (1897), auf der anderen das der bestehenden Kirche (1968).
Figuren
Im Gemeindezentrum gibt es einige figürliche Darstellungen: den Schmerzensmann am oberen Ende der Treppe zum Paradies, die Marienstatue in der Werktagskapelle und eine Darstellung der heiligen Walburga rechts neben dem Hauptausgang. Diese Figuren aus gebranntem Ton wurden für unsere Kirche von den Geschwistern Degen (Höhr-Grenzhausen, Westerwald) gefertigt.
Das Kreuzigungsrelief über dem Gabentisch am Durchgang von der Werktagskapelle zum Hauptraum stammt aus der kleinen neugotischen Vorgängerkirche.
Standkreuz
Das von Hubert Teschlade geschaffene Standkreuz kam 1984 in die Kirche. Es besteht aus starkem versilbertem Kupferblech und hält in der Mitte mit feuervergoldeten Spangen einen geschliffenen Bergkristall.
Wandbehänge
Die Wandbehänge hinter dem Altar werden zu den verschiedenen Festzeiten des Kirchenjahres gewechselt. Sie stellen dar: Christi Geburt, einen Schmerzensmann für die Fastenzeit, das Lamm der Apokalypse zu Ostern, die Schöpfung nach dem Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi, Zachäus auf dem Baum, wie er von Jesus angerufen wird, und die Arche als Bild der Kirche, deren Ziel das himmlische Jerusalem ist. Diese Bildteppiche wurden von Grete Badenheuer, einer Künstlerin aus Essen, gefertigt, wie auch der große Behang mit dem auferstandenen Christus an der Südwand, der ganzjährig hängt.
Grete Badenheuer verwendete nur Naturmaterialien wie Leinen und Seide und natürliche Farben. Es sind verschiedene Techniken zu erkennen: mal Stickerei mit Perlen und Goldfäden verziert, mal Applikationen mit aufgenähten Stoffen. Ein weiterer, kleinerer, Behang von Grete Badenheuer hängt in der Werktagskapelle neben dem Tabernakel, wechselnd mit zwei Behängen von Marianne Heinisch.
Glocke und Orgel
Eine Glocke an der Südfassade ist der heiligen Walburga gewidmet. Sie stammt aus dem Jahre 1928 und ersetzt eine gleichnamige Glocke, die 1917 zu Kriegszwecken beschlagnahmt wurde. Darauf nimmt die lateinische Inschrift Bezug: „Arceat Walburga Patrona miseram sortem qua fracta cecidit ea quae ante me sonuit illius gloriam“. „Abwehren möge die Patronin Walburga das traurige Schicksal, durch das zerbrochen die herabfiel, welche vor mir ihren Ruhm erschallen ließ“.
Die Orgel wurde von Michael Braun zur Einweihung der Kirche erbaut, ein Hauptwerk mit acht und ein Pedal mit vier Registern. 1995 kamen ein Schwellwerk mit acht Registern und ein zweites Manual hinzu.
Der Außenbau
Zum Abschluss sollten wir noch einmal von außen das Gebäude betrachten. Das Raumprogramm – Kirche, Gemeinderäume, Wohnung des Pfarrers – mußte auf einem steilen Grundstück untergebracht werden, das unten an der Straße sehr schmal ist, sich nach oben bis zur Kirche verbreitert und dann wieder, den Berg hinauf, spitz zuläuft. In Auseinandersetzung mit diesen Vorgegebenheiten wurde die eigenartige Gestalt des Bauwerks gefunden. Die eine Seite wirkt verschlossen, hat nur wenige und kleine Fensteröffnungen. Die Mauermassen erinnern an Burgmauern, an manche Bauten in südlichen Ländern. Emil Steffann war stark von Assisi beeindruckt, wo er zur katholischen Kirche konvertierte. Die andere, dem Ort zugewandte Seite, ist einladend geöffnet durch eine große Glasfassade vor den Gemeinderäumen. Aber dennoch: Wer ins Innere gelangen will, muß Schwellen überwinden, Wege zurücklegen und Räume durchschreiten.
„In einer Zeit, die – so scheint es <Offenheit nach allen Seiten> und schwellenlose Übergänge sucht“ (charakteristisch für Kaufhausbauten und Ladenstraßen) „hat Steffann Mauern und Schwellen um das Innen, die Mitte aufgerichtet; er fordert einen entschlossenen Übertritt in den neuen Bau – eine andere, innere Welt.“
(Gisberth Hülsmann).
Die „Erschwernisse“ und „Verzögerungen“ geben der Seele Zeit, mitzukommen, lassen den gestreßten Menschen durchatmen. Das klare, stille Raumgefüge verhilft dem Einzelnen zur Sammlung, der Gemeinde zur Ver-Sammlung.
Was Hermann Volk, Bischof von Mainz, später Kardinal, 1969 im Vorwort eines Heftes der Christlichen Kunstblätter über Emil Steffann schrieb, trifft voll und ganz auf unsere St. Walburga Kirche zu:
„Er hat … durch klare Formen und überzeugende Einfachheit den grundlegenden Anforderungen des kirchlichen Raumes zu entsprechen gesucht. Er war nicht auf seine Originalität aus, sondern auf die Sache, welcher er dienen wollte und gedient hat. Er vertraute auf die Kraft der klaren und einfachen Form, welche die größere Sache, der sie dient, spürbar werden läßt. Diese zuchtvolle Strenge enthebt sein Werk einer sich rasch überlebenden , einer rasch überholten und gerade darum besonders in der Architektur gar schwachen Modernität. Er selbst tritt zurück, denn die Sache soll sprechen und sie spricht.“
Vielleicht sehen wir nun auch die Treppen mit anderen Augen und fragen mit dem Psalmisten: „Wer darf hinaufsteigen zum Berg des Herrn?“ „Wer reine Hände hat und ein lauteres Herz. Er wird Segen empfangen vom Herrn und Heil von Gott, seinem Helfer“ (Psalm 24,3 ff).
Literatur
Christliche Kunstblätter 3/1969:; Der Architekt Emil Steffann 1899—1968, Linz
Emil Steffan; Ausstellungskatalog der Kunsthalle Bielefeld, 1980.; Neuauflage 1981, hrsg. von der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (bearb. Gisberth Hülsmann mit Manfred Sundermann);
Kunstreferat der Diözese Linz, Reihe Kirchenbau, Bd.2:; Emil Steffann (1899—1968); Werk. Theorie. Wirkung (Hrsg. Conrad Lienhardt); Regensburg 1999
Hrsg. Katholische Kirchengemeinde St. Walburga, Porta Westfalica